
Sie meinen, das sei etwas zuviel Phantasie? Nun, was Autos betrifft sicherlich. Aber im deutschen Assistenzhundwesen schaut es derzeit genau so aus!
Betrachten wir nach diesem Drama-Beispiel mal die Assistenzhund-Realität: Der Automechaniker, pardon, Assistenzhundtrainer braucht derzeit nicht den geringsten Ausbildungsnachweis, um den Betroffenen, zumeist Menschen mit Behinderung und schwerer Krankheit, eine für sie oft lebensnotwendige Hilfe vorzubereiten. Damit sind wir beim ersten Standard, dem Berufsbild nebst der erforderlichen Ausbildung. Dass es sowas für Deutschland nicht gibt, hatten wir ja bereits gesagt.
Der beste Automechaniker kann nun allerdings auch nichts ausrichten, wenn sein Werkzeug und das Auto von schlechter Qualität sind. Auch wenn uns Begriffe wie Werkzeug und Auto im Zusammenhang mit Hunden nicht gefallen: Die Eignung und die Herkunft der Hunde sind fundamental, wenn der Assistenzhund eine zuverlässige Hilfe für den Halter werden soll. Diese Voraussetzung und erste Trainingserfolge bei der Grundausbildung legen die Basis dafür. Das gehört zum einen wieder in die Berufsstandards, aber es berührt auch einen anderen Standard, nämlich den der "Materialqualität", pardon, der Voraussetzungen, die ein Assistenzhund überhaupt mitbringen muss, bevor er seinen Halter trifft. Auch hier, Sie ahnen es schon, herrscht in Deutschland ein erstaunliches Regelungsloch.
Dass in Deutschland eine Führerscheinprüfung gemacht werden muss ist selbstverständlich, sonst gibt es keinen "Lappen" und auch für Assistenzhunde gilt das, denn sonst bekommen sie keine Kenndecke. Aber stellen Sie sich vor, jede Fahrschule bastelt ihre eigenen Prüfungsregeln und nimmt dann nach genau diesen Regeln die Prüfung ab. Absurd? Bei Assistenzhunden ist das so. Es gibt keine einheitlichen Prüfungsregeln, aber viele Kenndecken.
Es gibt keine verbindlichen Qualitätskontrollen
Und dann ist der große Moment gekommen, ein, sagen wir mal Behindertenbegleithund, bildet mit einem Halter ein Team, die Prüfung war erfolgreich und beide dürfen nun im richtigen Leben harmonieren. Oder in unserem Beispiel: Sie dürfen mit ihrem Auto zirkulieren. Während Sie als Autofahrer immer ein Auge auf Flensburger Punktekartei haben müssen und der TÜV ihren "Partner" genau unter die Lupe nimmt, gibt es derzeit in Deutschland keine verbindliche Qualitätskontrolle für Hund und Halter. Ob irgendwann die Hunde ihren Rollstuhlfahrern den Apport oder dem Diabetiker bei Unterzuckerung die Hilfe verweigern, das hängt vom aufmerksamen Radar der betreffenden Schule ab.
Selbst wenn alles im grünen Bereich ist und Berufsqualifikation, Ausbildungssandards der Tiere und Teams perfekt harmonieren, bleiben Stolperfallen. Jeder weiß, das eine rote Ampel Stopp bedeutet und rechts vor links gilt. Aber wenn ihnen einer links reinfährt und dann sagt, das interessiere ihn nicht und er wüsste das außerdem gar nicht, dann nutzt alles bislang überstandene überhaupt nichts. Zwar finden sich bei geduldiger Suche in deutschen Sozialgesetzen Passi, die allen Assistenzhundtrainern und Haltern den Zugang im öffgentlichen Raum gewähren, aber herumgesprochen hat sich das scheinbar noch nicht. Jeder Trainer oder Halter hat das schon erfahren dürfen.
Aber jetzt nehmen wir mal an, bis hier leuchtet Ihnen das allen ein und Sie fragen nun zu Recht, warum das alles noch nicht geregelt sei. Tja, jetzt wird es kompliziert. Dazu müssen wir uns jetzt vorstellen, Politiker wüssten eigentlich gar nicht so richtig, was Autos sind, und ob die wirklich bei der Mobilität helfen. 100e Sachverständige sind in in hunderten Vereinen organisiert und jeder sagt eigentlich was anderes. Zuerst mal würden diese Politikier sich wohl informieren (bestenfalls) und mal einen Blick über die Grenzen werfen. Aber auch da ist alles kunterbunt unterwegs. Die EU sagt lediglich, dass es keine Diskriminierung für Autofahrer geben darf. Und nun versuchen Sie mal, auf dieser Basis den Verkehr zu regeln. Ein politischer Reflex wäre woh, das Thema vornehm zu ignorieren, bevor man sich die Fingerchen verbrennt.
Ampel oder Totalschaden
Aber da uns das Assistenzhundwesen am Herzen liegt, hier ein wichtiger Einschub: Wir sind keine Ansammlung konfuser Hundeflüsterer, sondern haben auch dem Weg zu einer einheitlichen Regelung für ein Hundegesetz durchaus sehr positive Ansätze zu verzeichnen. Leider kommen die wenigsten aus Deutschland. So gibt es seit den Neunzigern die internatiopnalen Verbände ADI / ADEu, die weitgehend akzeptierte Standards zur Ausbildung und Kontrolle von Trainern, Hunden und Kontrolle der Teams ausgearbeitet haben. Aber damit ist die Frage nach unabhängigen Qualitätskontrolleuren noch nicht beantwortet.
Und es gibt auch Hundegesetze wie das in Spanien, welches Verstöße gegen den Zutritt von Teams mit saftigen Geldbußen belegt. Dabei bleibt allerdings die Frage nach zertifizierten Zentren sehr vage. Positiv hingegen ist, dass es in Spanien seit 2009 eine ausführliche Qualifikationsbeschreibung eines Berufsbildes "Assistenzhundtrainer gibt", das modular aufgebaut ist.
Und in Österreich befindet sich derzeit ein Entwurf in Arbeit, der die Förderung und Kontrolle des Assistenzhundwesens ein für allemal regeln soll. Besonders positiv finden wir von Servicehunde Deutschland e.V., dass in Österreich bei der Zertifizierung sehr viel Wert auf die Einbindung betroffener Menschen bei Prüfung und Kontrolle gelegt wird.
Auch in Deutschland gibt es positive Ansätze, wie die Berliner Zusammenarbeit zwischen Vereinen und der IHK, mit dem Ziel, eine Zertifizierung bei Teams und Berufsausbildung voranzutreiben. Aber der Weg ist steinig, was - zur Ehrenrettung unserer Branche sei es gesagt -, auch daran liegt, dass wir es bei der Ausbildung von Assistenzhunden mit einer sehr jungen Disziplin zu tun haben, die in den neunziger Jahren von wenigen Pionieren, wie der Vita-Gründerin Tatjana Kreidler entscheidende Impulse bekommen hat und sich nun in wachsendem Tempo ausbreitet.
Ob es uns nun gefällt oder nicht: Wir werden uns in Deutschland zusammenraufen müssen, um diese wichtigen Fragen gemeinsam zu beantworten, bevor die Politik uns ernst nimmt und sich zu gesetzliche Vorgaben aufrafft. Sonst werden uns irgendwann schwarze Schafe noch einen in der Öffentlichkeit verheerenden Totalschaden verursachen und sagen, sagen, sie hätten ja nichts unrechtes getan, weil rote Ampeln rein gar nichts zu bedeuten hätten.
Der Verein Servicehunde Deutschland betrachtet deshalb folgende fünf Punkte als essentiell:
1. Standards für Selektion, Ausbildung und Teamzusammenarbeit
2. Standards für die Berufsausbildung zum Assistenzhundtrainer
3. Standards für die medizinische Beurteilung und Kontrolle der Nützlichkeit unter Einbeziehung kompetenter Behindertenvertreter nach österreichischem Vorbild
3a. Die Förderung von Forschung und öffentlicher Aufklärung zum Thema Assistenzhunde
4. Standards für eine u n a b h ä n g i g e Prüfung und Kontrolle der Teanmarbeit
5. Ein bundesweites Register für Assistenzhundeschulen
6. Regeln und Sanktionen für die Sicherstellung von freiem Zutritt von Trainern und Teams im öffentlichen Raum. Aufklärung der Öffentlichkeit über das Verhalten gegenüber Assistenzhund-Teams
Unserer Meinung nach muss ein Assistenzhundgesetz für Deutschland diese Themenfelder allesamt einschließen, wobei es an dieser Stelle kontraproduktiv wäre, mit detaillierten Vorschlägen Einzelkämpferaktionen zu starten. Der Verein Servicehunde Deutschland e.V. setzt sich ein für eine bundesweite Versammlung, in der Kommissionen zu den einzelnen Schwerpunkten gebildet werden, die dann Vorschläge zu den Details erarbeiten. Das setzt einen Meinungsprozess voraus, der offen und transparent sein muss.
Standards
Warum sie so wichtig sind und doch nicht existieren
Ansätze und Regelungen
Die Politik
Zwar ist in den einzelnen Bundesländern das Führen von Assistenzhunden in Gebäuden und Verkehrsmitteln geregelt, aber damit hat es sich dann auch. Eine Petition an den Bundestag, eingebracht von der Berlinerin Hedi Menge (Assistenzhundewelt e.V.) erreichte zwar beachtliche 1425 Mitstreiter, aber das gesetzte Quorum von 50.000 Mitzeichner konnte nicht erreicht werden. Wichtiger ist allerdings, dass dadurch eine Diskussion um eine bundesweite Regelung angestoßen wurde. Initiativen auf Länderebene, wie etwa ein aktuelle Beschluss des schleswig-holsteinischen Landtags (siehe Hintergrundartikel) machen derzeit Hoffnung. In anderen EU-Ländern geht es ebenfalls voran: In Österreich feilt bereits an Ministerialentwürfen für ein Assistenzhund-Gesetz, in Spanien verfügen die Regionen Valencia, Katalonien und Baskenland über spezielle Assistenzhundgesetze; seit 2011 ist das Berufsbild des Assistenzhundtrainers offiziell im Gesetzblatt verankert. (leider nur auf spanisch, wird noch übersetzt und kann von Mitgliedern beim Verein angefordert werden).
Europäische Union
Was hat Europa zum Thema Service- und Assistenzhunde zu sagen? Es gibt eine Entschließung vom 2. April 2009, in der es wörtlich heißt:
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(12d) Diskriminierung aufgrund einer Behinderung umfasst auch eine Diskriminierung, die darauf beruht, dass eine Person von einem anerkannten Blindenführ- oder Assistenzhund begleitet oder unterstützt wird, der gemäß den Standards des Internationalen Verbands für Blindenführhunde (International Guide Dog Federation) oder des Internationalen Verbands für Assistenzhunde (Assistance Dogs International) ausgebildet ist.
Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. April 2009 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung (KOM(2008)0426 – C6-0291/2008 – 2008/0140(CNS)) |
Dieser holprige Satz ist eigentlich ein Unding, denn er würde ja bedeuten, dass es eine Diskriminierung bedeutet, wenn Hundeführer Assistenzhunde mitführen, die nach ADUI/ADEu Standards ausgebildet werden, Es soll wohl bedeuten, dass Assistenzhunde unter den Schutz des Gesetzes fallen, wenn sie von Assistenzhunden begleitet werden, die der Qualität der ADI / ADEu Standards entsprechen. Das löst bei einigen Hundetrainern Stirnrunzeln aus, denn sie fürchten, dass dadurch ein europaweites Monopol des US-amerikanischen Vereinsablegers durch die Hintertür eingeführt werden soll.
Und dann gibt es da in der EU-Entschließung noch folgenden Satz:
12e) Ein effektiver diskriminierungsfreier Zugang kann auf verschiedenen Wegen gewährleistet werden, darunter auch mit Hilfe des Konzepts des "Design für Alle" und indem Menschen mit Behinderungen die Verwendung von Hilfsmitteln erleichtert wird, einschließlich von Hilfen für Mobilität und Zugang, wie etwa anerkannte Blindenführ- oder Assistenzhunde.
Abänderung 57
Vorschlag für eine Richtlinie
Artikel 4 - Absatz 1 - Buchstabe b
Das ist zwar löblich, aber konkret hilft es dem Assistenzhundewesen nicht wirklich weiter, denn "erleichtern" kann viel bedeuten.
Die Kassen
Die Krankenkassen sind mit Ausnahme der Blindenführhunde derzeit noch nicht an der Kostenübernahme für Assistenzhunde beteiligt, obwohl sich gezeigt hat, dass der Pflegebedarf von körperbehinderten Menschen durch den Einsatz von Assistenzhunden zwar nicht aufgehoben, jedoch signifikant vermindert wird. Und es ist belegt, dass auch Servicehunde, ähnlich wie Blindenführhunde, die Lebensqualität chronisch kranker oder behinderter Menschen entscheidend verbessern können. Argumente und Belege gibt es dafür genug.
McNicholas und Collis (1998) beschreiben vier Kategorien, in denen Assistenzhunde zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen (insbesondere Körperbehinderungen) beitragen:
• Der Hund als Sozialfaktor ermöglicht Kontakte zu anderen Menschen und
fördert so die Integration in die Gesellschaft.
78 Vgl. Waltham Researcher 1997.
79 Vgl. Kapitel 2.3. dieser Arbeit.
• Mit dem Hund verbindet den Besitzer eine affektive Beziehung, die über
eine Arbeitsbeziehung hinausgeht.
• Die Beziehung zum Hund ermöglicht eine emotionale Unterstützung und
eine Verbesserung des Selbstwertes, sie ist eine Quelle für Wohlbefinden,
Empathie und das Gefühl, kompetent und wertvoll zu sein.
• Der Hund beeinflusst das selbständige Erlangen von physischem Wohlbefinden.
McNicholas (1998) fand zudem in einer Studie heraus, dass der Hund ein extrem starker sozialer Katalysator ist. Er macht selbst dann soziale Interaktionen mit anderen Menschen möglich/wahrscheinlich, wenn die äußere Erscheinung des Hundehalters als wenig attraktiv empfunden wird (wie das z.B. bei körperbehinderten Menschen der Fall ist), wenn der Hundehalter sich nicht gerade unter vielen anderen Hundebesitzern befindet (wie das z.B. im Park der Fall ist), und auch dann, wenn der Hund nicht von sich aus durch sein Verhalten die
Interaktion anregt.
Auch die Lebensqualität des Hundes in seiner Rolle als arbeitender Helfer wurde
untersucht: Géraldine Heillaut (1998) fand bei einer Umfrage keine Anzeichen
für Depressionen oder Unglücklichsein bei tätigen Assistenzhunden, und ihre
Rolle war in keinem Falle angstinduziert. Kein Hund biss jemals seinen Eigentümer, obwohl 3 von 56 Hunden in einer dominierenden Position gegenüber ihrem Halter zu sein schienen. Die Qualität der Hilfsleistungen hängt offensichtlich nicht ab von Charakteristika des Menschen wie dem Alter und Familienstatus, seiner Sprachkompetenz oder dem Grad seiner Abhängigkeit von seinem Hund, sondern allein von der Dauer der Beziehung zu dem Tier: die Hilfe wird mit der Zeit immer effektiver.
Die Zukunft
Abseits der rührenden Geschichten muss sich das deutsche Assistenzhundwesen noch erheblichen Problemen widmen, die allesamt mit Standardisierung und Normenkontrolle zusammenhängen. Dabei ist von Politik und Kostenträgern gleichermaßen ein höherers Interesse am Thema zu fordern. Denn die Öffentlichkeit hat längst begriffen, dass Assistenzhunde einen innovativen und "sanften" Beitrag zur Verbesserung der Qualität in Pflege und Begleitung behinderter Menschen leisten können. Sind die bestehenden Probleme gelöst, kann sich der Wachstumsmarkt Assistenzhundwesen enorm steigern.
Lesen Sie dazu auch den Artikel "Rechtswirrwarr um Assistezhunde, von Marco Klausen
Man stelle sich einmal folgende Situation vor: Automechaniker brauchen in Deutschland keine Berufsqualifikation. Sie können nach Herzenslust an Ihrem Auto schrauben. Ihr Auto ist übrigens nach keiner Norm zertifiziert, eine technische Überwachung braucht es auch nicht.
Und wenn Sie sich dann frohgemut in den Verkehr begeben, tun Sie das ohne den Nachweis Ihrer Fahrtüchtigkeit.
Im Verkehr selbst
geht es kunterbunt zu,
weil es kaum
Verkehrsregeln gibt und die wenigen, die es gibt, werden von anderen eh nicht beachtet.